Dämmerungsfalter

02/11/2019

Ein ganz normaler Samstag. Vielleicht im Frühjahr, oder im Herbst. Vielleicht sogar im Sommer. Warm genug, um den Tag draußen zu verbringen. Ein ganz normaler Samstag. Wahrscheinlich mit einem gemeinsamen Frühstück. Bestimmt gab es Brötchen, Eier, Bohnen und Speck. Vielleicht saßen ihre Brüder mit am Frühstückstisch. Ein ganz normaler Samstag. So genau erinnert sie sich nicht mehr. Warm genug um Inliner zu fahren. Mit Julia. Bis zur Bücherei. Sind sie in die Bücherei gegangen? Sie erinnert sich nicht mehr. Sind sie überhaupt Inliner fahren? Auf jeden Fall verbrachte sie den Tag mit Julia. Das weiß sie ganz genau. Ein ganz normaler Samstag.

Sie kam gerade wieder zu Hause an. Es dämmerte draußen. Es kann nicht Sommer gewesen sein. Bestimmt war es ein warmer Tag im Herbst. Vielleicht im Frühling. Aber Sommer war es nicht. Es dämmerte ja schon so früh. Sie kam gerade wieder zu Hause an. Ihre Mutter im Flur. Schaute sie nicht an. Schaute nicht in ihr Gesicht. Zog sich umständlich die Jacke an. Sie war aufgebracht. Was machte das Küchenmesser in ihrer Hand? Sie war so aufgebracht. Völlig neben sich. Raus aus der Tür. Mit einem Messer unter der Jacke. Raus in die Dämmerung. Ein ganz normaler Samstag. War es überhaupt Samstag? Es muss ein Sonntag gewesen sein. Am nächsten Tag war sie doch in der Schule. So genau weiß sie das nicht mehr. Aber ein Samstag kann es nicht gewesen sein. Dann war es ein Sonntag. Ein ganz normaler Sonntag.

Was ist hier los? Ihr Vater schaute sie nicht an. Starrte stumm auf den Fernseher. Was ist hier los? Nur ein Streit. Ein ganz normaler Sonntag. Und wohin geht Mama? Was weiß ich. Sie hat sich die Jacke angezogen und ist gegangen. Keine Ahnung. Mit einem Messer. Was? Ja. Was für einem Messer? Na einem Küchenmesser. Was? Ja. Keine Ahnung. Lauf hinterher. Na jetzt ist sie doch schon weg. Lauf. Sie lief. Die Straße entlang. Julia, bitte hilf mir, meine Mama. Sie ist weggelaufen. Taschenlampen. Julias Brüder. Mittlerweile war es dunkel. Waren das überhaupt Julias Brüder? So genau weiß sie das nicht mehr. Sie klingelte an Haustüren. Ist mein Bruder da? Es ist etwas passiert. Ist mein Bruder hier? Ich brauche Hilfe. Ein ganz normaler Sonntag. Nein, ist er nicht. Wo ist Felix? Dann soll Tim kommen. Sie sah die Silhouette ihrer Mutter. Ein paar Straßen weiter. Richtung Hauptstraße. Sie entfernte sich immer weiter. Sie traute sich nicht. Sie hatte Angst. Sie wollte nicht hinterher. Sie hatte Angst. Wovor? Vor ihrer Mutter. Bitte helft mir. Bitte. Jemand soll etwas machen. Ich brauche Hilfe. Sie hat ein Messer. Was ist, wenn? Warte zu Hause. Sie haben sie gefunden, auf dem Friedhof. Sie ist jetzt im Krankenhaus. Es geht ihr gut. Es geht ihr gut? Alles ok. Ein ganz normaler Sonntag.

Vielleicht war es auch kein Sonntag. Vielleicht hatten sie an diesem Morgen gar nicht alle gemeinsam gefrühstückt. Vielleicht hat es keine Brötchen gegeben, keine Eier, keine Bohnen, keinen Speck. Vielleicht hat sie den Tag gar nicht mit Julia verbracht. Vielleicht gab es kein Messer. Vielleicht gab es keine Taschenlampen. Vielleicht hat sie nicht die Silhouette ihrer Mutter gesehen. Und vielleicht ist auch alles ok. Ein ganz normaler Sonntag. Geh jetzt ins Bett, morgen ist Schule.


- things that happen from dusk till dawn